Freud' und Leid auf dem Reinkenhof

Vorbemerkung:

Man kann ja über die Heidjer im Allgemeinen und über die Schäfer im Besonderen reden was man will. Sicher waren gerade für den Schäfer Begabung und Erfahrung nötig, um in der Einsamkeit allein auf sich gestellt alle Heidschnucken und Schafe einer Herde zu verarzten oder die Witterung richtig einzuschätzen. Aber die ebenbürtigen Eigenschaften wie Fleiß und Ausdauer, die im Leben fast noch wichtiger sind, bilden sich erst im Laufe der Zeit heraus.

Alle “Nachgeborenen” waren auf keinen Fall dümmer als die Erstgeborenen aber, bedingt durch die traditionelle Erbfolge auf den Höfen, ihrem älteren Bruder gegenüber benachteiligt. Als jüngere Söhne mußten sie gezwungenermaßen als Hüßel (Häusling), als Imker oder sogar als Tagelöhner oder Knecht bei dem eigenen Bruder, oder eben günstigstenfalls als Schäfer ihrem Broterwerb nachgehen und auf diese Art ihre eigene Familie ernähren.

Sie haben aber als “Schopphert” (Schafhirte) nicht einfach in den Tag hineingedöst und den Hunden die Hütearbeit überlassen. Das zeigt die nachfolgende Erfolgsbilanz des Vorfahren Dietrich Dehning (1745 - 1824).

(Zitate, die aus den entsprechenden Urkunden stammen, sind in der folgenden Geschichte zur Verdeutlichung “fett-kursiv” gesetzt).

Der Wechsel vom Schafkoven zum Hofbesitz

Das Heidedorf Katensen, dessen Name bereits seit 1380 bekannt ist, liegt zwischen den Orten Bergen und Sülze und hatte von alters her eigentlich nur drei Vollhöfe. Der Reinkenhof hat bis heute die Hausnummer 3 und war seit eh und je von den beiden anderen Höfen durch eine Chaussee getrennt.

Der Hofname geht auf die Familie Reineke (Reinicke, Reyneke) zurück und blieb traditionsgemäß bis heute unverändert. Die Namengeber saßen bereits 1438 auf dem herrschaftlichen Vollhof bevor etwa um 1600 die Familie Strübe (auch Strüve, Strufe oder Struwe genannt) den Hof übernahm. Der letzte Besitzer dieses Namens auf dem Reinkenhof hieß “Hans Peter Struwe”. Er wurde am 17. Nov. 1768 in der Kirche des Nachbarortes Sülze mit Anna Cath. Schulzen, die von dort kam, getraut. Von den drei Töchtern aus dieser Ehe scheinen die beiden letzteren jung gestorben zu sein, sodaß der Reinkenhof damals in der Männerwelt sicher erhebliche Begehrlichkeiten geweckt hat.

 

Die Haustochter Anna Catharina (1772 - 1816) muß etwa 14 -17 Jahre alt gewesen sein, als der Schäfer Dietrich Dehning auf den Reinkenhof kam, um die Aufgabe eines Interimswirtes zu übernehmen. Die wahren Gründe für diese Entscheidung liegen bis heute im Dunkeln. Waren es persönliche Gründe, etwa der Wunsch nach Seßhaftigkeit? Er streifte - wie bereits sein Vater und sein Großvater vor ihm - nun schon seit etwa 20 Jahren, größtenteils von der eigenen Familie getrennt, mit den Schnuckenherden seiner verschiedenen Auftraggeber in der Heide umher.

Oder hatte ihn der Vormund der Erbin für die vorübergehende Bewirtschaftung des Hofes ausgesucht oder war er sogar von “Amts wegen” auf den Hof gekommen? Vielleicht reimten sich mehrer Gründe zu einer glücklichen Fügung zusammen. Diesem Begründer der Katenser-Linie wurde damals schon viel Umsicht und Vielseitigkeit nachgesagt, mit der er sich aus kleinen Anfängen zu einem angesehenen und wohlhabenden Mann empor gearbeitet hat, bevor er im gesegneten Alter von fast 80 Jahren an Krebs starb.

Der Sohn Johann Friedrich (1771-1826) heiratete am 17. Nov. 1791 die einzige Erbin des Reinkenhofes Anna Cath. Strübe (1772-1816). Beide Brautleute waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschäftsfähig.

Aus der Ehestiftungsurkunde (E.9), geht hervor, daß sich der Altvordere Dietrich zwei “Freiheiten” herausgenommen hat, die einem Interimswirt eigentlich nicht zukamen, nämlich die “Regierung” des Hofes und die Aussteuer seiner Kinder.:

Vater Dietrich muß sich seiner soliden Ausgangsposition voll bewußt und außerdem fest entschlossen gewesen sein, nunmehr auf diesem Hof seßhaft zu werden. Denn normalerweise war es nicht üblich, daß ein Interimswirt solche Bedingungen stellte. Doch das Amt gab seine Zustimmung, vermutlich wohl im Hinblick darauf, daß Dietrich für die damaligen Verhältnisse bereits ein vermögender Mann war.

Tatsächlich gab er seiner ältesten Tochter Ilse Dorothee, als sie 1796 einen Hoferben aus Widdernhausen heiratete, außer der Hofabfindung noch mit:

“Einhundert Reichsthaler in Golde, welches der Vater aus seinen eigenen Mitteln in der Hochzeit baar ausbezahlen verspricht und den Hofe überal nicht zur Last fallen sollen.”

Als dann diese Tochter zwei Jahre später stirbt und derselbe Hoferbe aus Widdernhausen die zweite Tochter Trine Marie (jüngere Schwester von Ilse Dorothee) heiratet, gab er dieser wiederum außer der Hofaussteuer von 3 Rindern und 3 Schweinen, 3 Malter Korn, 20 Schafen usw. “100 Rth. in Golde, welche derselbe seiner Tochter sofort in der Hochzeit mitgebet.”

Auch 1802, als seine dritte Tochter Marlene Dorothee einen jungen Mann aus Eversen heiratet, bekommt diese an Aussteuer mit: “ 3 Rinder, 3 Schweine, 20 Schafe, 3 Malter Korn, halb Rocken, Halb Buchweizen, Kisten und Kistenpfand. Bette und Bettegewand, wie auch an baarem Gelde Zweihundert Thaler in Golde, wovon das Geld in die Hochzeit ausbezahlet...”

In der Besetzungszeit durch Napoleon gehörten die Dehnings auf dem Reinkenhof auch zu denjenigen, die im Jahre 1807 den Franzosen 200 Franken bezahlen mußten.

Auch die älteste Großtochter Ilse Katharine , als sie 1815 einen Hauswirt aus Wohlde heiratete, bekam was ihr Vater Johann Friedrich in der Ehestiftung vom 6. Nov. zugesagt hatte: "Einhundert Thl. in Golde, die sofort bei der Verheiratung bar ausbezahlt werden, 3 Rinder oder 6 Pistohlen, 3 Schweine oder 3 Pistohlen, drei Sack Korn, 20 Schafe oder 20 Reichstahler in Golden, gewöhnliches Kistenpfand, welche letzteren Stücken binnen 2 Jahr abgeführt werden.”

Zu der Verpflichtung des Vaters kam in diesem Falle wohl noch ein Hochzeitsgeschenk des Großvaters, wie aus der Eintragung im Amtshandlungsbuch Bergen ersichtlich ist:

“Vor hiesigen Königl. Amte erschien der Altentheiler Dietrich Dehning aus Catensen, desgleichen der Hauswirt P.H.Helms aus Wohlde und brachte ersterer folgendes vor:

Laut Obligation (Schuldschein) ...habe der Administrator der 2 Wenseschen Güter Oppershausen u. Bodenwerder von der Witwe Doweln zu Wienhausen 1000 rth. In Golde angeliehen. Die darüber sprechende Obligation sey von... gegen Auszahlung des Geldes der Frau Amtsverwalterin... cedirt (=abgetreten), und von ... ihm dem Dietrich Dehning zu Catensen zu einem Antheil von einhundert rth. in Gold (abgetreten).

Diesen seinen Antheil an oben bezeichneter Obligation,die er nun ... P.H.Helms zu Wohlde in der Maaße (abtritt), daß derselbe von jetzt an, das Capital u. der Zinsen erheben, das Capital kündigen und überall nach seinen Gefallen damit zu verfahren befugt seyn solle.”

Zum letzten Mal ist von einer Barschaft im Jahre 1827 die Rede, als der Vater Johann Friedrich am 5. Okt. 1826 an einer “auszehrenden Krankheit” gestorben war.

Es trafen sich auf dem Amt in Bergen die folgenden Kinder aus der 7. Generation:

“1.) Heinrich Friedr. Dg. Zu Catensen, 30 Jahre alt (der Bauer)

2.) Ilsa Catharinen Dg. Durch ihren Ehemann P.H.Helms zu Wohlde vertreten

3.) Cath. Maria Dg. durch ihren Ehemann J. Brammer zu Catensen vertreten

4.) Cath. Marlene Dg. 5.) Ilsa Maria Dg. 6.) Cath. Doroth. Dg. 7.) Anna Cath. Dg.

Letzteren 4 durch ihre Vormünder... vertreten, und gaben zu vernehmen, daß aus dem Nachlaß ihres verstorbenen Vaters sich ihnen ein Kapital von 200 Rtr. Gold zugefallen” sei. Die drei ältesten Kinder verzichten danach zu Gunsten der vier jüngeren Geschwister, da sie “bereits völlig von dem väterlichen Erbteil abgefunden wären.”

Von den 13 Kindern des Vollhöfners Johann Friedrich, der 1816 noch ein zweites Mal geheiratet hatte, lebten zu diesem Zeitpunkt noch die oben genannten sieben.

Es gibt eine Eheschließung, die uns den klaren Überblick über die Verflechtung auf dem Reinkenhof erschwert. Der in der obigen Aufstellung nicht mehr aufgeführte älteste Sohn und Erbe Johann Heinrich (1795 - 1815) hat nach dem folgenden Auszug aus der Ehestiftungsurkunde eine Frau “genommen”, deren Mädchenname den “Durchblick” auf dem Reinkenhof nicht gerade erleichtert, denn sie hieß wie die Hofbegründer Anna Catharina Reineke, stammte aber aus dem Nachbarort Bollersen .

Die Braut brachte “Vierzig Louidor an baarem Gelde und ein gebräuchliches Kisten-Pfand” mit und der Bräutigam den Hof, aber auch seine Unerfahrenheit. Deshalb heißt es in der Ehestiftung weiter: “Der Vater des Bräutigams wollte sich, da er noch nicht beabsichtiget, den Hof zu übergeben, er auch überzeugt sey, mit seinem Sohn immer in Eintrag (Eintracht) leben zu können, vorerst keinen Altentheil beschreiben lassen.”

Doch wie das Sprichwort sagt: “Unverhofft kommt oft”. Der Hoferbe stirbt unerwartet im Alter von 20 Jahren am 17. März 1815 an den “Folgen der Frieseln.”

Um die Ungewißheit über das Schicksal des Hofes möglichst bald zu beenden, wird auf dem Reinkenhof noch vor dem Ende des Trauerjahres erneut Hochzeit gehalten. Die Witwe heiratet ein zweites Mal, diesmal den jüngeren Bruder des Verstorbenen Heinrich Friedrich (1798 - 1837). Die Lösung dafür ist in der Ehestiftungsurkunde nachzulesen

Schicksalsschläge

Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten!

Der Reinkenhof hat auch viel Kummer und Leid hinnehmen müssen. So wird berichtet, daß diese Ehe ein tragisches Ende genommen hat. Heinrich Friedrich nimmt sich am 29. Mai 1837 im Alter von 39 Jahren das Leben. Das Kirchenbuch bemerkt dazu: “Er entleibte sich selbst, indem er sich den Halz abschnitt.” Und auch zwei Generationen später sollte noch einmal ein tragisches Unglück geschehen: Der zweitälteste Sohn aus der 9. Generation Jürgen Heinrich starb im Alter von 8 Jahren am 20. Nov.1858 an den “Folgen eines Falles auf dem Eise.”

Zweimal hat die Katenser-Linie auf dem Reinkenhof “auf einem Auge gestanden”, wie man zu sagen pflegte. (In der Landwirtschaft weiß man, daß im Fall des Verlustes der obersten letzten Knospe (das sog.Auge) die Pflanze kaum eine Überlebenschance hat. ( Heute würde man sagen: “es stand auf Messers Schneide”).

Denn Johann Friedrich, der die Strübe-Tochter geheiratet hatte und sein Enkelsohn Heinrich Friedrich (1818 - 1887) waren die einzigen männlichen Erben ihrer Generation.

Von dem Letztgenannten ist außerdem zu berichten, daß er als Vollhöfner auf dem Reinkenhof mit seiner Ehefrau A.Brammer, die er 1845 geheiratet hatte, insgesamt 15 Kinder gezeugt hat. Mit dieser außerordentlichen Leistung der Bäurin war die Katenser-Linie vor dem Aussterben gerettet.

Alle diese Dehning-Leute aus Katensen, die unzählige Male durch die “Missendör” (Schiebetor zum Befahren der Diele) des Reinkenhofes gegangen sind, hatten oft genug den Spruch vor Augen, den der Erbauer einst in den gewaltig langen Eichenbalken darüber einschnitzen ließ:

Drei schöne Dinge sind, die beide(n),

Gott und den Menschen wohlgefallen:

Wenn Brüder eins sind und

die Nachbarn sich lieb haben und

Mann und Weib sich miteinander wohl begehren.

 

Wir aber vermögen heute kaum noch zu erkennen, wieviel Weitblick und Mühen erforderlich waren, um einen eigenen Hof zu erlangen und täglich durch harte Arbeit und großes Geschick mit Leben auszufüllen. Deshalb soll der folgende Wegweiser helfen, die nicht einfachen Eheverflechtungen mit der daraus resultierenden Erbfolge über 4 Generationen auf dem Reinkenhof zu erkennen.

IMPRESSUM

Edition:

Fritz Dehning, Bonn

E-Mail:

fritz.dehning@netcologne.de

 

Beratung:

Marcus Dehning

E-Mail: 

dehning@brueserberg.de

Aus dem Inhalt:

 

  Die

Lüneburger Heide,

das Land der Ahnen


*


   Über die

Obrigkeiten

und die

Existenz-

grundlagen

 

*

  

  Das Leben

unserer Vorfahren

 

*


Der gemeinsame

Name

 

*

 

  Hofgeschichten

 

Soll und Haben

auf Wehsen Hoff

 

Rechte und Pflichten

auf Westerendshoff

 

Freud' und Leid

auf dem Reinkenhof

 

*


Een

Sommerdag

bi een Burn,

eine plattdeutsche

Leseprobe

 

*


Die Bilaad

und ihre Dokumente

 

*


Finale